Videowatch



60 Monitore werden kreisförmig, mit den Bildschirmen zur Mitte, aufgestellt. Zwischen den Geräten sind gleichmäßige Abstände damit Zuschauer von allen Seiten in den Kreis eintreten können. Die Monitore stehen auf niedrigen schwarzen Podesten. Die gesamte Kreisfläche steht auf einer flachen Plattform, unter der Kabel und Anschlüsse untergebracht sind.

Über Satellitenempfang und örtliche Quellen werden 60 verschiedene Sender aus aller Welt eingespeist, die ausgestrahlten Programme sind in realtime zu sehen. Das spectaculum ist jedoch in der Weise strukturiert, daß alle Programme auf allen Monitoren nur je eine Sekunde lang zu sehen sind, und dann auf den jeweils benachbarten Monitor weitergeschaltet werden. Durch den Kreis der Monitore wandern die Programme im Sekundentakt, im Uhrzeigersinn. Die kontinuierliche Drehbewegung der Bilder und Töne wird zum Symbol einer „Weltuhr“, die Informationen aller Art ununterbrochen im Kreise bewegt. Nur ist die Zeit dieser Uhr stets gleich, nicht früher oder später, sondern permanente Gegenwart.

Der Eindruck, der sich einem im Kreis stehenden Betrachter bietet, mag der eines Sekundenzeigers sein, der zwar selber nicht sichtbar ist, dessen motorische Dynamik sich aber im steten Wechsel bewegter Bildfelder ausdrückt. Die Wahrnehmung des Betrachters steht vor der Alternative, dem Ortswechsel eines bestimmten Programms von Monitor zu Monitor zu folgen, wenn er dieses nicht aus den Augen verlieren will, was bewirkt, daß er sich um seine eigene Achse dreht, wodurch sich die Funktion des unsichtbaren Zeigers auf ihn selbst überträgt. Oder aber der Blick bleibt auf einen Monitor fixiert, wobei eine im Sekundentakt wechselnde Folge zusammenhangloser Szenerien durch sein Blickfeld zieht.

Lichtverhältnisse am Ausstellungsort sind soweit reduziert, daß die physische Präsenz der Gegenstände zurücktritt, und die Aufmerksamkeit sich ganz auf das optisch-akustische Geschehen auf der Kreislinie richten kann. Die Programme werden schwarz/weiß ausgestrahlt, wodurch der Eindruck der im monotonen Takt springenden Bilder wie eines kalten magischen Feuers verstärkt wird.

Zu jeder vollen Stunde findet eine Abschaltphase statt, und darauf wiederum eine Einschaltphase, dergestalt, daß in der 60. Minute sämtliche Fernsehprogramme auf allen Monitoren stationär bleiben, wobei von Sekunde zu Sekunde sukzessiv ein Programm nach dem anderen abgeschaltet wird. Mit der 60. Sekunde der 60. Minute sind sämtliche Programme erloschen. Mit Beginn der 1. Minute der folgenden Stunde werden sodann von Sekunde zu Sekunde die Programme wieder eingeschaltet, bis mit der 60. Sekunde der Kreis wieder geschlossen ist und erneut im Sekundentakt zu rotieren beginnt.

VIDEOWATCH, der Titel des Projekts, bezieht sich auf den im englischen „watch“ enthaltenen Doppelsinn von „Uhr“ und „beobachten“.

Durch den Ortswechsel der Programme wird der „Fluß der Informationen“ zum bewegten Ornament. Wenn das Ornament als ein Stilmittel aufgefaßt werden kann, das den Wesenskern einer Sache umspielt, oder gar selbst zur Sache geworden ist, so kann dieses, analog zum Selbstverständnis der Postmoderne, als deren konstituierendes Element angesprochen werden. Das Projekt VIDEOWATCH impliziert eine Selbstdarstellung der Postmoderne, zugleich deren Medienkritik anhand ihrer eigenen Mittel.

Die gleichzeitige Präsenz vieler Programme, die Versammlung vieler Geschichten an einem Ort, hat auch deren Gleichgültigkeit? zur Folge, wobei diese Gleich-Gültigkeit sich im Equilibrium ihrer positiven wie negativen Bedeutung manifestiert. Die vielen Geschichten haben die Signifikanz der einen Geschichte zerstört. Gleichwohl sind sie noch immer Aspekte der einen Geschichte, deren Grundtendenz in der Beliebigkeit des Vielen jedoch nicht mehr erkennbar, wenn nicht völlig untergegangen ist. Die Gleichgültigkeit aller Geschichten ist nicht mehr rückführbar auf einen gemeinsamen, definitiven Nenner. Der Luxus scheinbarer Vielfalt, die Demokratisierung alles dessen, was machbar ist, ist „ein Alles-zum-Besten-Nenner“ geworden, wie Gottfried Benn vorausformuliert hat.

Zur Position des Betrachters im Innern des Kreises ist anzumerken, daß er sich im Zentrum eines vermittelten, entmaterialisierten und imaginären Geschehens befindet. Ferner ist diese Position eine perspektivelose, in formaler Hinsicht als auch im übertragenen Sinne. Eine Perspektive setzt einen bestimmten Standpunkt voraus; umgekehrt eröffnen bestimmte Standpunkte bestimmte Perspektiven, also Sichtweisen, Meinungen, Behauptungen, Überzeugungen, die sich von anderen aufgrund anderer Standpunkte unterscheiden. Lösen sich die Standpunkte auf, gehen auch die Perspektiven verloren. Man könnte auch sagen: im Zentrum des Kreises überschneiden sich Perspektiven und heben sich so gegenseitig auf. Insofern steht die Perspektive- bzw. Standpunktlosigkeit in unmittelbarer Beziehung zum Faktum der Gleich- Gültigkeit oder Gleichwertigkeit.


© Kurt Benning, München 1991



Modell der VIDEOWATCH von 1991
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Anmerkungen von Kurt Benning, München 1991

Abschaltphase – Anschaltphase

Dem althergebrachten Zeitpfeildenken gemäß, demzufolge sich alles von einem Anfang auf ein Ende zubewegt, gibt es auch eine zielgerichtete Erzählstruktur, ein Additionsverfahren also, das Ergebnisse zeitigt, eine Pointe hat. Noch allgemeiner gesagt: es trägt sich etwas zu, es verändert sich etwas, was Konsequenzen provoziert.

Was vor dem Anfang und nach dem Ende ist, hat strukturell gesehen Ewigkeitscharakter, wobei zwischen den beiden als absolut gesetzten Momenten eine gewisse Dauer herrscht. Diesem Muster soll durch die stündlich stattfindende Ab und Anschaltphase Rechnung getragen werden. Durch den kreisförmig angeordneten Verlauf jedoch beißt sich Anfang und Ende sozusagen in den Schwanz. Das Ende geht nahtlos in den Anfang über, die Ewigkeit, weil unbestimmt, bleibt ausgespart. Was die Erzählstruktur betrifft, so bewegt sich diese im Kreis, mit rhythmisch anschwellenden und abschwellenden Phasen des Erzählvolumens.

Das Kreis-Motiv

Als Symbol für Vollkommenheit ist es zugleich, – dynamisch aufgefaßt, Ausdruck für den Wahnsinn. (In fast allen Filmen von Werner Herzog beispielsweise gibt es Szenen des sinn- und orientierungslosen um-sich-selber-Kreisens).

Gleichgültigkeit

Zwei Lesarten des Begriffs sollen hier angesprochen werden. Zunächst als Mangel an Interesse bzw. des Fehlens von Anteilnahme; zum anderen der durch die getrennte Schreibweise betont Aspekte im Sinne von Gleichwertigkeit. Eine Betrachtungsweise, die unterschiedslos allen Erscheinungen dasselbe Interesse entgegenbrächte, würde die hierarchische Struktur der Wertmaßstäbe außer Kraft setzen, – eine utopische Vorstellung. Wertungen und Werte bemessen sich an der Dringlichkeit des Interesses. Diese Dynamik erzeugt ein Gefälle das „Wertvolles“ von „Wertlosem“ scheidet. Demgemäß ist das Seltene wertvoll, das Einmalige unschätzbar und das Häufige billig. Der Wert ist wert, insofern er gilt, heißt es bei Heidegger. Und die Vernichtung von Einmaligem durch Vervielfachung führt zur Entropie des Interesses. Die Utopie einer klassenlosen Gesellschaft hat sich in der Form einer interesselosen Gesellschaft realisiert, und ist daran gescheitert, wiewohl auch der Gesellschaft als solcher jegliche Grundlage entzogen wurde.

Die eine Geschichte

Geht man von der Hypothese aus, daß auch Geschichten eine Genealogie haben und stammbaumartig auf „die eine Geschichte“ rückführbar sind, so wären auch alle Geschichten bzw. Erzählungen untereinander verwandt, wenn auch sehr weitläufig.

„Die eine Geschichte“ wäre zu lesen als ein frühestes Sich-Innewerden, eine Seinsdeutung also, mit eschatologischer Tendenz; wobei unter den frühen Entwürfen noch sehr deutliche verwandtschaftliche Beziehungen erkennbar sind. Alle späteren Geschichten: Variationen, Fortführungen, Ableitungen, Gegenentwürfe, Utopien, Detailbeschreibungen, Spezifikationen, – bis hin zu lokalen und globalen Nachrichten zum unablässig Aktuellen, sowie sämtlichen anderen Unterhaltungen und Wiederholungen des immer Gleichen, bis hin zum Zitat des Zitats. Weshalb die Gier nach immer neuen Geschichten, die weder noch Geschichten noch neu sind? Das scheint ein immer dringender gewordenes Zivilisationsproblem geworden zu sein. Die Erbmasse des Realen wird nicht mehr beerbt, sie wird vernichtet. Mit einem qualitativen Sprung wird der Übergang zur Simulation vollzogen. (Die zeitgleich stattfindende Genmanipulation als Parallele dazu ist offensichtlich), Aus Fakt wird fake. Ehemals Echtes wird synthetisch nachgebaut, neumythologisch mit der Magie des Markenzeichens versehen. Man befindet sich im Zeitalter der Vernichtung von Bedeutungen und Inhalten. Mit der Simulation verschwindet die gesamte Metaphysik. (Baudrillard) Mit dem Kampf gegen die Natur, und deren erfolgreicher Vernichtung, ist man zum Kampf gegen das Reale angetreten, was auch als Kampf gegen die Abweichung von der Norm zu verstehen ist. (So gesehen kann man auch die Balkantragödie, die neuen nationalen, religiösen Fundamentalismen als Rückzugsgefechte verstehen, als kollektiven Protest gegen eine allgemeine stromlinienförmige Entwicklung.)

Erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch der Verfall der prophetischen Intelligenz (Sloterdijk), und damit Vilem Flusser, ein eher hitzköpfiger Positivist denn Prophet, dem das Virtuelle schon wirklicher als das Wirkliche war. Vielleicht sollte damit eine Virilität der Phantasie beschworen werden. Da nun das Virtuelle im Vorfeld des Möglichen siedelt, und kraft der Omnipotenz seiner Möglichkeiten immer auf dem Sprung dorthin , bleibt es doch außen vor, um ein Modewort zu benutzen, bleibt also außerhalb des Bereichs des Wirklichen, wo es nichts bewirkt. Da aber die Tendenz zur Entwirklichung nun mal angesagt ist, so ist diese wohl vornehmlich zu finden im Innenbereich jener Brillen und Kopfvorsätze, die eine fatal-futuristische Ähnlichkeit haben mit dem vormals geläufigen Brett vor dem Kopf.

Hingegen die andere Geschichte, als ein vielleicht mögliches Pendant zu dieser einen Geschichte. Es gibt sie noch nicht, auch nicht im Innenblick der Gesichtsmasken. Schon möglich, daß via Simulation/Virtualität Zugänge sich auftun zu Ungeahntem. Wenn aber das Eine wie das Andere ist (von gleicher Herkunft), so wäre das Absolute, – wenn es noch zu retten ist, vielleicht zu denken in einem ort- und zeitlosen Punkt des Übergangs, eines Übergangs vom Namenlosen zum Definitiven, vom Nichts zum nicht mehr nichts.

ein Alles-zum-Besten-Nenner

Die Formulierung findet sich in dem Gedicht Si/s-Maria, einem Ort im Engadin, wo Nietzsche ein Erleuchtungserlebnis zuteil wurde. Aus dem Band: Statische Gedichte, Gottfried Benn, Verlag ‘Die Arche’, Zürich; Erstveröffentlichung 1948.

Perspektive

Durch die Auflösung der wechselseitigen Bedingtheit von Perspektive und Standpunkt des Betrachters als zielgerichtetem Blick ist der Verlust der Mitte angezeigt. Diese Mitte ist zugleich die Stelle eines unhaltbar gewordenen Standpunkts. Mit der Zersplitterung der Perspektive im Kubismus zugunsten einer Mehrfachsicht der Dinge wird eine ästhetische Metapher gekippt, die nahezu 500 Jahre bestimmend war in der westlichen Hemisphäre. Wollte man eine Beziehung herstellen zwischen den weltpolitischen Ereignissen und Erschütterungen in der Kunst, so wird man sagen können, daß letztere der Katastrophe des 1. Weltkriegs seismographisch vorausgehen.

Die Entdeckung der Perspektive für die Malerei ist der ästhetische Nachvollzug eines in den monotheistischen Religionen bereits vorgeprägten perspektivischen Denkens, das sich, der Projektion des Zeitpfeils folgend, von einem Anfang auf ein Ende zubewegt. Ausgehend also von den Schöpfungsmythologien, durch den Lauf der Geschichte, bis hin zur Vollendung der Eschatologie.

Gleichwertigkeit

Das Aufeinanderfolgen weicht der Gleichzeitigkeit Mc. Luhan, „Die magischen Kanäle”. Oder in Virilio’s Worten, aus „Rasender Stillstand“: Die Unordnung der Simultaneität tritt an die Stelle der Ordnung der Sukzession. Eine bestimmte Philosophie, und eine daraus abgeleitete Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wollte eine geordnete Entwicklung der Dinge sehen, auch eine geordnete Entwicklung des Verständnisses für mancherlei Phänomene. Mit dem prognostizierten Ende der Metaphysik wurde freilich einiges anders. Folgerichtig ist eine Relativitätstheorie entdeckt worden, später dann eine Chaostheorie.

Mit der Entwirklichung des Realen geht eine Entgeisterung einher, die der schon totgesagten Metaphysik neue Hohlräume erschließt. Es ist nicht leicht, die Idee des Absoluten aus den Augen zu verlieren, oder gar willentlich aufzugeben. Alles andere wäre ja weniger, weniger auch im Sinne des Mehrwerts, für den ständig zunehmende Wachstumsraten Voraussetzung sind. Oder wäre denn der Verlust einer aufs Ganze gerichteten Perspektive nichts mehr oder weniger als der tatsächliche Wert, der ihrer Natur gemäße Wert der Dinge? Möglicherweise erklärt sich daraus der Drang, die Natur lebender Materie zu verbessern, genetisch nachzubessern.

Bedeutungen und Inhalte sind weitgehend verlorengegangen, aber nicht etwa, weil die Wege von Einem zum Anderen zu lang wären, sondern weil im Gegenteil das Unterwegssein gegen Null tendiert. Das Medium, eigentlich ein Transportmittel, transportiert nur noch sich selbst. Insofern hat Mc. Luhan’s Postulat, in Umkehrung seiner Intension, eine andere Gültigkeit erlangt: Das Medium ist die Botschaft, heißt heute, es ist Selbstzweck, also gewissermaßen autistisch geworden. Am Ende eines sich atomisierenden Differenzierungsprozesses macht sich ein Schwund von Differenz, Bedeutung, Eindeutigkeit bemerkbar. Alles kann wieder mehrdeutig, vielschichtig verstanden werden. Darin liegt eine große Chance, die vorläufig aber anscheinend nur Verwirrung stiftet. etwa in der Form der oft zitierten Beliebigkeit.

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Computeranimation von 1992: