Zeichen im Asphalt

Das einzige Farbfoto in dieser Ausstellung soll einen Hinweis darauf geben, wie es zu der Idee für die „Asphaltzeichnungen“ kam. Manches von dem, was man schon gesehen, aber im Grunde nicht wahrgenommen hat, erschließt sich einem bisweilen erst dann, wenn ein noch ganz unbedachter Aspekt hinzu kommt. So erging es mir, als ich wieder einmal aus dem Fenster meiner Wohnung auf die Straße hinunter sah. Da war, zwischen geparkten Autos an den Straßenrändern etwas zu sehen, was einer Zeichnung glich. Da meine Wohnung im 3. Stock liegt, sah ich das Gebilde sozusagen in der Aufsicht, was den Charakter der Zeichnung zusätzlich betonte. Die Zeichnung indes war rätselhaft. Ihr Sinn erschloß sich freilich aus der Notwendigkeit, Straßenausbesserungsmaßnahmen vorzunehmen an Stellen, wo Risse in der Straßendecke waren. Risse entstehen naturgemäß unter erhöhten Spannungsverhältnissen und nehmen oft einen völlig willkürlich scheinenden Verlauf. Dieser Satz läßt sich durchaus auch metaphorisch verstehen, zumal im Hinblick auf die Vorgehensweise eines Künstlers, dessen spontan entstehende Zeichnungen einem inneren Spannungsmuster entsprechen mögen, dem er intuitiv zu folgen scheint.

In dem Risse in Straßen mit Teer gekittet werden, entstehen zeichnerische Verläufe, Verschränkungen und Verwindungen, die jenseits der banalen Notwendigkeit der Reparatur ganz beiläufig und unbeabsichtigt ästhetische Effekte hervorbringen, – Zeichnungen von ungeahnter Kühnheit oder auch Einfachheit, die ein Künstler vielleicht selbst hätte erfinden können. Vorgefundenes ist ja oft das, was um seiner Orginalität Willen geschätzt wird, also gewissermaßen von einer Aura umgeben ist, wie sie Kunstwerken eigen ist. So liegt es nahe, das man solche Dinge als objet trouvé bezeichnet, als ein vorgefundenes Ding, das man ob seiner Besonderheit zum Kunstwerk erhebt. Es ist dies ein Kunstwerk ohne Autor, das allein Kraft einer Behauptung von der Anonymität zum Kunstwerk mutiert.

Neben dem objet trouvé darf es auch ein dessin trouvé geben, wie ich die von mir vorgefundenen Asphaltzeichnungen nennen möchte. Für mich sind das faszinierende Zeichnungen, die ich leider nicht selbst erfunden habe.

Schließlich noch ein Wort zum Thema s/w und Farbfotografie, wie eingangs bereits angedeutet. Ich habe Zeit meines Lebens mit s/w Fotografie gearbeitet. Wenn sich dennoch hie und da Farbfotos eingeschlichen haben, dann allenfalls aus Versehen, oder aus dokumentarischen Gründen, wo farbliche Abstufungen bestimmte Sachverhalte verdeutlichen sollten. Die Welt farblich abzulichten erscheint mir banal und überaus langweilig, allein schon aus dem Grund, weil das technisch irgendwann möglich war und offenbar dem Bedürfnis entsprach, der Wirklichkeit so näher zu sein. „Schwarz-Weiß ist eine Abstraktion, es erlaubt mir die Konzentration auf das, was ich Würde nenne, auf das Essentielle“. (Sebastião Salgado)

 

 

Kurt Benning 2015

Anlässlich der Ausstellung „Zeichen im Asphalt“ in der Galerie Huber