Peter Pinnau

Wir sind zusammengekommen, um uns von Kurt Benning zu verabschie­den. Ich kann das gar nicht und Sie alle auch nicht, weil wir ihn, jeder auf seine Weise, erlebt haben und im Gedächtnis, und auch im Herzen, behal­ten werden.

Wir werden uns nie mehr persönlich mit ihm austauschen können, aber wir werden uns erinnern und seineTexte lesen. Sich erinnern – das trifft in den Kern von Kurt Bennings Leben und Arbeiten als Künstler.

Aus der Sicht eines Freundes über Kurts Leben zu sprechen, ist gar nicht leicht. Es kam mir bei ihm ein wenig vor, als sei ich Archäologe. Mit jeder Schicht kommt Neues, Unbekanntes zutage. Ich bin seit 39 Jahren mit ihm befreundet, mal nah, mal fern, auch mit einer längeren Pause, als ich am Münchner Kulturreferat die Künstler förderte und mich von persönlichen Künstlerfreunden eher fernhielt.

In die frühe Zeit meiner Freundschaft mit Kurt Benning ist die junge Liebe mit meiner Frau Anja aufs Schönste verwoben, das hat uns lebenslang zu dritt verbunden. Durch Kurts schwere Krankheit in den letzten drei Jahren haben wir Angelika und Eberhard Jochem kennenlernen dürfen, Kurts Vetter und Jugendfreund. Wir vier haben zusammen mit Wolfgang Seiss, seinem Mitarbeiter und Freund, Kurts letzte Zeit begleitet.

Kurt war im Umgang von Natur aus eher verhalten und ritterlich, aber voll beglückender Wärme, wenn er sich verstanden fühlte und wir mit Begeisterung zusammen Projekte realisierten, damals im Beisein seiner Muse Rita, mit der ihm die legendäre Aktion gelang, schwarzen Sand von der Insel Vulcano nach München zu schaffen – mehrere Tonnen, auf abenteuerliche Weise. Man könnte Kurts Leben nach den Frauen einteilen, die ihn inspirierten.

Heute sind Kurts Verwandte, Tochter Noa und ihre Mutter Nina, Freunde und Nachbarn gekommen aus Kurts Lebenswelt in München, aus alter und neuerer Zeit und auch Anwohner hier aus Pleystein, der Heimat seiner Jugend, wo er begraben sein wollte.

Für viele von uns ist Kurt der einzige Bezugspunkt untereinander. Er konnte sehr verschwiegen sein und sprach wenig über Menschen, obwohl er sie sehr differenziert beobachtete. Er war nicht gesellig und gab, soweit ich weiß, niemals Feste. So haben viele heute zum ersten Mal die Gelegenheit einander kennenzulernen

Kurt pendelte als Künstler und Vater durch mehr als 15 Jahre zwischen München und Gunderding, nahm tiefen freudigen Anteil am Aufwachsen seiner Tochter auf dem Lande. Während seiner schweren Krebserkrankung hat er sogar What’s App gelernt. Er wollte leben, für sein künstlerisches Werk und seineTochter.

Den Kampf gegen seine Krankheit hat er mit Unerschrockenheit, Zähigkeit und Umsicht geführt – nach jedem Rückschlag doch darauf vertrauend, dass ihm noch Zeit geschenkt wird. Er war dann zutiefst erschöpft. Und ob­wohl eine letzte Therapie scheinbar gut angeschlagen hatte, ist er – ganz plötzlich – von der Krankheit eingeholt worden.

Kurt Benning ist als einziger und erster Sohn von Käthe und Kurt Benning am 31. Januar 1945 in Pleystein geboren, im Haus Nr. 89, heute Marktplatz 1. Im Haus der Familie war schon seine Mutter und ihr Vater Franz Wüst geboren worden, Bäcker und Holzhändler. Kurts Eltern waren erst 24 Jahre alt, als er geboren wurde. Ein Jahr später wurde bekannt, dass der Vater in den letzten Kriegstagen in Serbien gefallen war, er hatte seinen Sohn nie gesehen.

Kurt war ein aufgeweckter Junge, auf Fotos im Pleysteiner Haus sieht man ihn strahlend Brot in den großen Backofen schieben. Auch auf dem Feld und an den Geleisen der Eisenbahn sieht man ihn hell und auf liebe, ge­winnend kindliche Art artig und energiegeladen stehen. Die Mutter musste für ihren Unterhalt sorgen und ging bald zu ihrer Schwester in die Großstadt nach Stuttgart und baute sich ein neues persönliches Leben auf und schon bald eine erfolgreiche berufliche Existenz. Sie war Sekretärin für zwei renommierte Lehrstühle der Architekturfakultät, und zwar für beide gleichzeitig, wie Kurt mir voll Stolz auf seine Mutter erzählte. Wir schauten vor 14 Monaten vom Katharinenhospital auf die beiden Hochhäuser der TU Stuttgart, in denen im neunten Stock ihr Arbeitsplatz war.

Der kleine Kurt wurde, wie es heute heißt, „geparkt“ bei der geliebten Großmutter Barbara Wüst, die ein zuverlässiger Ruhepol in seinem Leben war. Von ihr lernte er Achtung und Liebe für die gewachsene Natur und die Tiere, den Blick für die Dinge, für das Wetter, die Gestirne. Obwohl er zeit­lebens viel und weit reiste, blieb er für mich ein Mensch vom Land, wo er seine Orientierung in der Welt und erste Liebe gefunden hat, zu einzelnen Menschen und zum Wald.

Mit der Einschulung änderte sich sein Leben. Es begann eine lange Zeit in katholischen Internaten im Schwäbischen, unterbrochen nur von den Schulferien in Pleystein, wo er sehnlichst und oft vergeblich auf Besuche der Mutter wartete, die in ihren Ferien immer ohne ihn verreiste.

Stattdessen nahm sich als Mentor Max Graf Lippe aus dem Freundeskreis der Mutter seiner an. Und dessen Freund Albrecht Fürst von Urach gab ihm den ersten Malunterricht und führte ihn ein in das Stuttgarter Linden Museum mit seinen reichen völkerkundlichen Sammlungsbeständen, z.T. aus Urach’schem Besitz.

Nach dem ersehnten Ende der Internatszeit bestimmte ihn sein Großvater Benning zu einer Uhrmacherlehre, um ihn darauf vorzubereiten, anstelle des gefallenen Vaters Nachfolger und Erbe der Firma ,Benning-Uhren und Optik‘ in Gelsenkirchen zu werden. Kurt absolvierte die Lehrzeit mit ausge­zeichneten Zeugnissen, trat eine erste Stelle am Münchner Marienplatz an und verließ sie, sobald er konnte, ohne Nachricht an den Großvater, um sein Studium an der Münchner Akademie der Bildenden Künste aufzuneh­men. Der enterbte ihn und akzeptierte ihn erst wieder, als Kurt erfolgreich war und mehrere Kunstpreise nach Hause brachte.

Kurt hatte sich mit der Entscheidung gegen einen Brotberuf und für die Kunst für ein weitestgehend mittelloses Leben entschieden, und er riskierte das. Jahrzehntelang hielt er das durch, ein von Kennern hoch an­gesehener, aber kommerziell erfolgloser Künstler zu sein. Vielleicht hat ihn das so willensstark werden lassen.

Erst das späte Erbe seines Großvaters ermöglichte ihm in den letzten zwei Jahrzehnten durchzuatmen und viele Filme und Projekte noch zu verwirkli­chen und auf dem Land, in Gunderding und Pleystein, und in München zu leben.

Wir entdeckten einander, beide 34jährig, im Umfeld der Galerie, die seine Werke ausstellte – nach seiner Zeit in London, als er wieder in München Fuß fasste.

Ich nannte ihn den ‚Scharfschützen‘, und beschrieb damit, vielleicht noch unbewusst, die gnadenlos unerbittliche Präzision und Treffsicherheit, die seine künstlerische Arbeit auszeichnete. Ich nannte ihn damals auch den ‚Seemann‘. Ich als Hamburger dachte dabei an harte Arbeit, aber auch an trinkfeste und weitgereiste Leute. Alle drei Eigenschaften haben sein Leben wesentlich mitbestimmt.

Ich habe ihn damals auch – vermutlich des Nachts, wenn wir uns an den vielen kleinen runden Tischen im Adria begegneten, den Eiszeit-Dosto­jewski genannt.

Diesen damals spontan und begeistert ausgesprochenen Namen habe ich nie vergessen. Es liegt Sehnsucht nach Osten hin darin und Leiden an der Welt, und das Wort Eis und Zeit. Auch Melancholie. Kurt Bennings Blick war im Herzen nicht nach Amerika gewandt. Pleystein lag an der Grenze zu Böhmen, und weit dahinter lag Sibirien.

Sein wunderschöner rotblonder Bart und langen Haupthaare, die großen graublauen Augen gaben ihm außerdem das Aussehen eines Ritters von König Artus Tafelrunde. Diese im Geheimen Gutes bewirkende Tafelrunde stand tatsächlich damals im Mittelpunkt seiner Gedanken, und er baute für eine Ausstellung eine Spirale, mit einem runden Tisch im Zentrum, ein Bild für Ausstrahlen und für Empfangen – alle Gebiete des menschlichen Lebens einschließend.

Und bis heute habe ich dies Bild der Artusrunde in mir bewahrt, von Menschen, die Kurt auf seinem Lebensweg fand und findet, die, wie er, nachdachten, lasen, Musik hörten und mit denen er im weiteren und nähe­ren Umkreis sprechen und korrespondieren konnte, es konnten auch ferne und vergangene Autoren sein, die er nicht oder nicht mehr persönlich ken­nenlernen konnte. Er las viel. Es musste alles Hand und Fuß haben, auch die Menschen, die er in seine Artusrunde aufnehmen würde, ihnen Aufgaben zu übertragen oder gemeinsam etwas zu bereden, zu erkennen und zum Guten zu wenden.

So etwas wie eine geheime Herzenssache für Kurt, der Plan, in einem ehr­würdigen, immer noch leerstehenden Gebäude in Pleystein ein Kunst und Kulturzentrum einzurichten, ist, wie ich manchesmal von ihm hörte, in Gesprächen mit Herrn Altbürgermeister Walbrunn vorsichtig angedacht worden. Kurt Bennings künstlerische Hinterlassenschaft hätte dort auch ihren Platz gefunden und von hier aus weiterwirken können. Er hat ja die Oberpfalz immer wieder zum Thema seiner Arbeiten gemacht, auch als ein Beispiel für den Kulturwandel in Europa – nachdenklich, traurig und in Sorge: Pleystein, Waldau, Burgtreswitz.

Er hat stattdessen vor seinem Tode die Stiftung Kurt Benning gegründet, die weiter in seinem Sinne mit seinen Werken arbeiten will.

Und in seiner Website, finden wir viele der Artusritter unter den Menschen, denen er im Leben begegnete. Im Kurt Benning Archiv unter „Photographie / Portraits“.

Und in seinen wunderbar klaren Texten dazu hat er uns seine Biographie übermittelt und spricht zu uns.