Schwarzwassertal in Tirol unterhalb der Bockkarscharte, ca. 60 Meter entfernt von Jubiläumsweg und Bergwachthütte, Höhe 1890 Meter, Koordinaten : 47°24’13“ Nord, 10°26’28“ Ost

Wanderer auf dem „Jubiläumsweg“ in den Allgäuer Alpen entlang der deutsch-österreichischen Grenze können etwas Besonderes erleben: Ein scharfkantig zugeschnittener Kubus mit 224 cm Kantenlänge steht gegen das kleinteilige Chaos am Ende eines Geröllfelds. 28 Tonnen schwere Steinblöcke umschließen wechselweise stehend und liegend eine quadratische Aussparung und umkreisen still dieses Nichts in der Mitte des Kubus.

Hoch über dem Schwarzwassertal im Tiroler Außerfern fand der Künstler Kurt Benning den idealen, viele Jahre gesuchten Ort für sein Projekt, der unberührten Natur eine klare geometrische Form voller Zahlenmagie entgegenzusetzen. Vor dem engen Kar, das hinauf zur Bockkarscharte führt, ruht sie wie auf einer organisch gewachsenen Aussichtsplattform. An diesem markanten Ort entfaltet das menschengemachte Gebilde größte Wirkung, ohne dieses seltene Stück unberührter Alpen zu beeinträchtigen.

Es schien zuerst unmöglich, die gewichtige Skulptur an der vorgesehenen Stelle zu setzen. Doch Kurt Benning, „der Spurensicherer, der Fahnder in unbetretenen Regionen“ (Gottfried Knapp), gab nicht auf. Er konnte noch die Projektgenehmigung in Tirol einholen, konnte die Blöcke im Schwarzachtobler Hartsandstein zuschneiden lassen und eine Schweizer Helikopterfirma für den Transport auftun. Nur bei der endlich geglückten Verwirklichung im Oktober 2018 war er nicht mehr dabei.

 


„Es entstand im Außerfern ein ‚landmark‘, das mit seiner grenznahen Lage weithin wirkt, ohne durch schlichte Größe beeindrucken zu müssen. Der „Kubus“ ist in seiner zurückhaltenden Dimensionierung daher auch ein deutlicher Hinweis auf die Naturbezogenheit; er will nicht auffallen durch Größe, sondern durch seine pointierte, intellektuell hinterlegte Erscheinung zur Auseinandersetzung mit der gewachsenen Natur anregen. Hierzu bedient er sich einer klaren geometrischen Form, die ihn von seiner direkten Umgebung abhebt, aber in der gewählten Materialität einen deutlichen Bezug zur Umgebung bietet.“

PD Dr. Wolfgang Meighörner, Direktor der Tiroler Landesmuseen

 

Aufbau des Kubus in den Tiroler Alpen, 17. Oktober 2018

 

„Ein Kunstobjekt kennt keinen Anspruch, benutzt zu werden, außer als freundlicher Begleiter, der den einen oder anderen Wanderer zur Betrachtung einlädt.“

Franz Probst, Steinmetz, Füssen

 

Kurt Benning: Zur Geschichte des Kubus (2016)

Die Idee für das Projekt einer Steinskulptur im Gebirge ist über 20 Jahre alt. Seinerzeit entstanden lediglich einige Modelle unterschiedlicher Größe in diversen Gesteinsarten, doch die Ausführung an einem dafür geeigneten Ort erschien mir damals als utopisch.

Wesentlich für den Sinn dieser Skulptur ist ihre Umgebung, die Natur. Zur Erhabenheit der Gebirgslandschaft stellt sie ein rationales und durchaus bescheidenes Gegenstück dar. Sie wirkt fremdartig angesichts der in unvordenklichen Zeiten aus der Erde emporgewachsenen Steinmassen, und der scheinbar chaotischen Prozesse ihrer fortwährenden Erosion. Jenseits der Dimensionen, die hier in Beziehung stehen, schließt sich jedwede Konkurrenz von vorn herein aus. Das die Natur und das Kunstwerk verbindende Element ist, vordergründig gesehen, jedoch das Material: Stein. (Es handelt sich um Grüntener Hartsandstein, der mitunter in dieser Gegend „wächst“. Das in den Alpen am häufigsten vorkommende Kalkgestein ist für eine Steinskulptur ungeeignet). [Da die Vorkommen dieses Steins nicht mehr ausreichten, musste auf Schwarzachtobler Hartsandstein aus dem Vorarlberg zurückgegriffen werden.]

Die Skulptur an der oberen Grenze der Vegetation kann und will nicht mehr sein als ein von Menschen gemachtes Zeichen. In ihm sind jedoch Gesetzmäßigkeiten der Natur enthalten, wie sie in verschiedener Weise ihren Niederschlag gefunden haben in den wissenschaftlichen Disziplinen wie Geometrie und Mathematik. In den Entdeckungen und Beschreibungen der Naturgesetze geht es jeweils um Verhältnismäßigkeiten, die anwendbar sind im zivilisatorischen Prozess (z. B. Haus- und Städtebau, Verkehrswesen und andere Formen der Organisation), aber auch ihren Ausdruck findet in der Kunst.

Rückblickend erscheint es mir nun, als habe das Projekt insgeheim heranreifen müssen bis zum Spätsommer des Jahres 2011, als ich einem Freund [Rolf Mader(1963–2018)] eher beiläufig davon erzählte. Er, der gebürtige Allgäuer, war von der Idee sehr angetan und schlug vor, auf gemeinsamen Wanderungen einen geeigneten, wenn nicht idealen Ort im Gebirge zu suchen. Also machten wir im September 2011 eine Bergwanderung zum Prinz-Luitpold-Haus, und von dort auf die Bockkarscharte, wo die Grenze zwischen Deutschland und Österreich verläuft. Von dort oben hat man einen herrlichen Blick hinab in das tief abfallende Kar und weiter in der Ferne auf das Schwarzwassertal, eines Zuflusses zum Lech.

Der Freund hatte mir sicher nicht von ungefähr diese Stelle gezeigt, denn mir wurde urplötzlich klar, daß auf einer kleinen Erhebung am unteren Ende des Kars der ideale Standpunkt für die Skulptur gegeben sei.

Beim Abstieg über den linker Hand verlaufenden „Jubiläumsweg“ nahmen wir den angepeilten Standpunkt aus er Nähe in Augenschein, und auch von hier aus schien sich die Wahl für diese Position zu bestätigen. Denn vor allem war zu berücksichtigen, daß für diesen Ort keine Gefahr durch Steinschlag oder Lawinen bestand, oder durch im Lauf der Zeit sich ansammelndes Geröll und Steinschutt. Optimal war der Standort auch für die dem Wanderer sich bietenden Sichtachsen und Perspektiven: Aus der Ferne von der Bockkarscharte, als auch von dem in unmittelbarer Nähe vorbeiführenden Jubiläumsweg.


Die Form

Der Kubus ist ein in den Raum gesetztes Quadrat hoch 3, ein einfaches geometrisches Gebilde. Sein definiertes Volumen ist zugleich symbolischer Ausdruck für den unendlichen, unabschliessbaren Raum, eben dadurch, dass er eine bestimmte Form annimmt.

Im asiatischen Vorstellungsbereich steht das Quadrat für Haus, Stadt, Welt – alles gleichermaßen Orte des Menschen. Der rechte Winkel ist von Menschen erdacht. Er hat etwas Sperriges, Statisches. Seit Anbeginn der Sesshaftigkeit ist er Grundlage rationalen Bauens.

 

Die Skulptur

Die Kantenlängen des Kubus betragen 224 cm. Er setzt sich zusammen aus vier gleich großen Quadern mit den Abmessungen: 224 x 128 x 96 cm [Für den Transport an den endgültigen Standort mussten sie jeweils geteilt werden]. Der Kubus ist in der Weise zusammengefügt, dass jeweils eine Breitseite an eine Schmalseite eines benachbarten Quaders zu liegen kommt. Durch die Differenz von Höhe und Breite der Blöcke ergibt sich im Zentrum des Kubus ein Loch. Durch die ausgesparte Mitte und die Art der Setzung der Steine entsteht eine optische Rotationsdynamik, die der Statik des blockhaften Ganzen entgegen wirkt. Das „Ganze“ besteht aus der sich ergänzenden Differenz von Bewegtheit und Ruhe.

Die Skulptur lässt sich auch anhand von Zahlenverhältnissen beschreiben, den Proportionen 1, 3, 4, 7.
1 bezeichnet die Öffnung im Zentrum, bzw. die „leere Mitte“ der Skulptur.
3 und 4 stehen für Schmal-und Breitseiten der Quader.
7 betrifft die Längen der Quader, sowie die Kantenlängen des Kubus.

Die Abmessungen der Skulptur beruhen also auf den Proportionsverhältnissen 3:4:7, wobei 3+4 =7 ergibt. Infolgedessen ist der Kubus 7 x 7 x 7 groß. Das ergibt 343. In der Mitte dieser Zahl steht die 4, das geometrische Zeichen für Quadrat, – als auch für das „leere Quadrat“ im Zentrum der Skulptur.

 


Aufbau des Kubus in den Tiroler Alpen, 17. Oktober 2018

 

 

5. August 2019. Kurt Bennings Tochter Noa bei dem Kubus.