Es war ein gewaltiges Stück Stoff von vielleicht 5 x 20 Meter, welches, zu einem Ballen zusammengerollt, einer kaum allein tragen konnte. Ich hatte es dem Fundus des Bayerischen Fernsehens in Freimann entnommen, wo ich Ende der 6oer Jahre als Bühnenbildner-Assistent arbeitete, um als Student der Bildenden Künste ein Zubrot zu verdienen, neben den spärlichen BAFÖG – Beträgen. Die großen nahtlosen Stoffballen aus Molton wurden in den Fernsehstudios als ‚Horizont‘ verwendet, also für durchgängig neutrale, dunkle Hintergründe. Ich war fasziniert von diesen übergroßen schwarzen Flächen und wollte auch einen solchen ‚Horizont‘ haben, ohne sogleich eine Idee zu haben, was man damit anstellen könnte, doch immerhin hatte ich eine Ahnung von dem Potential, das darin steckte. Ich habe meinen ‚Horizont‘ dann auch bekommen, ohne daß ich ihn hätte ‚abstauben‘ müssen, denn aus dem Fundus des Fernsehens wurden hin und wieder größere Posten an Material und Gerätschaften abgestoßen. Und da ich gewissermaßen an der Quelle saß, war es leicht, auf Kosten der Akademie einen Transport zu besorgen, um ausrangierte, aber funktionierende Geräte (Scheinwerfer und Nagra-Tonbandgeräte u.a.) abzuholen, Dinge, die für Studenten und selbst für die Akademie unerschwinglich und von unschätzbaren Wert waren.
Was den ‚Horizont‘ betrifft, so wurde der in wechselnden Unterkünften gelagert und schließlich vergessen, bis ich seiner wieder ansichtig wurde, 1985, wahrscheinlich anläßlich eines anstehenden Umzugs. Anfang der 8oer Jahre, war die Zeit meiner minimalistischen großformatigen Bildkonzepte. In dem Zusammenhang ist es mir rückblickend kaum verwunderlich, daß mir das große schwarze Tuch gerade recht kam, und ich dachte daran, damit in der Landschaft Bilder zu ‚malen‘, indem das ausgebreitete schwarze Rechteck inmitten der vielfarbigen Agrarlandschaft einen radikalen Kontrast bilde, einen Fremdkörper. Es erfolgten dann auch mehrere Versuche, die jedoch nicht dokumentiert sind, weil die Ergebnisse nicht zufriedenstellend waren.
Am 22. Juni 1986 machten Peter, Anja und ich eine Landpartie ins Dachauer Hinterland, wo wir im ehemaligen Schloß der kleinen Ortschaft Hof seit vielen Jahren schon eine gemeinsame Unterkunft hatten. Dort lag im Hausflur der schwarze Molton Ballen, wir luden ihn ins Auto und suchten in der Umgebung ein passendes Gelände, um das schwarze Tuch auszubreiten. Wir hatten zunächst keinerlei Vorstellung, was wir damit anfangen sollten. Doch schon nach kurzer Zeit ergaben sich im spielerischen Umgang damit spontan Ideen, die ich in s/w Fotos festhielt. Peter und Anja wurden zu Akteuren im Spiel mit dem riesigen Tuch, das unversehens plastische Qualitäten entfaltete. Am 5. Juli fanden weitere Aktionen statt, an denen sich auch eine Freundin von Anja, Petra, beteiligte. Dieses Mal schoß Peter Farbfotos mit seiner Minox, während ich filmische Sequenzen mit der Super 8 Kamera festhielt.
‚Das große schwarze Tuch‘, von dem auch Florian List fasziniert war, fand dann später Verwendung bei Proben zu einem Theaterstück, das in der Theaterfabrik in Pasing aufgeführt werden sollte. Möglicherweise war der schwarze Stoff sogar der Auslöser für Florians letzte szenische Aktion. Zur Aufführung des Stücks ist es aber nicht mehr gekommen; infolge dessen ist auch das dunkle Requisit verschollen.
Kurt Benning, Juli 2005