Die Seilskulpturen
Innerhalb kurzer Zeit, im Jahr 1979, sind die 6 Seilskulpturen entstanden. Sie behandeln alle, jeweils anders, das Kreis-Motiv. Man könnte auch von verschiedenen Auslegungen der „perfekten Form“ sprechen. Die Beschäftigung mit dieser Thematik stand im engen Zusammenhang mit der Philosophie des ZEN, was mich seinerzeit wesentlich geprägt hat. Die Gründe für die Verwendung des weichen Materials Hanfseil als künstlerisches Medium sind für mich heute nicht mehr eindeutig nachvollziehbar. Ein wichtiger Aspekt allerdings war die Auffassung, daß ein Seil zunächst wie ein Strich im Raum sei, der jedoch bei entsprechender Handhabung seine plastischen Qualitäten entfaltet, was bei dem „Knäuel“ und der „Kreisspirale“ besonders deutlich wird. Nachdem ich mich zuvor fast ausschließlich mit dem Zeichnen befaßt hatte, könnte man sagen, daß der Zeichnung somit die dritte Dimension zuwuchs. Was die Bearbeitung des Kreis-Motivs betrifft, so seien hier noch die „Doppelspirale“ und „Kreisnaht“ erwähnt. Beide Figurationen deuten den Kreis auf ganz unterschiedliche, ja fast konträre Weise. Dem ideal gedachten Kreis ohne Anfang und Ende widerspricht die „Kreisnaht“, Sie bezeichnet,- analog einer japanischen Tuschezeichnung, Ausgangs- und Endpunkt der Kreisbewegung, mit dem Unterschied, daß die Bewegung von rechts nach links als auch in umgekehrter Richtung gelesen werden kann. Bei der „Doppelspirale“ ergibt sich eine Drehung in entgegengesetzte Richtungen, deren Zentrum den Umkehrpunkt darstellt, der zugleich das Yin-Yang-Zeichen ist. Daraus ergibt es sich, daß die beiden Enden des Seils an der Peripherie parallel neben einander liegen.
Kurt Benning, Mai 2010
„Die Übersetzung ins Räumliche, in die dritte Dimension hat Benning dabei in den letzten Jahren immer häufiger interessiert. Die Seilskulpturen etwa könnte man als dreidimensionale Zeichnungen ansehen. In dem zur Kugel sich wölbende Seilknoten durchdringen und überspannen sich die Schnüre ganz ähnlich wie einst die Bleistiftstriche in einer Reihe von Zeichnungen. Und die zwanzig radial sich kreuzenden Seile demonstrieren in ihrer plastischen Aufwölbung am Kreuzungspunkt ihr Volumen. Aus einer lapidar einfachen graphischen Idee entwickelt sich, ohne daß irgendwie mit plastischen Kategorien gearbeitet wird, eine faszinierend orginelle, weiche Skulptur. Die fast muskulöse Kraft, die jedes der zusammengedrehten Taue ausstrahlt, gibt der auf einen Kern konzentrierten Idee ihre physische Präsenz.“
Dr. Gottfried Knapp, Eröffnungsrede der Ausstellung Kurt Benning im studio f, Ulm, am 20.2.1983