Warum ich konservativ bin

Warum ich konservativ bin

(Eine Art Selbstkritik)

Ich bin konservativ, weil gesagt wird, ich sei konser­vativ. Obwohl ich mich nicht für k halte, muß ich bedenken, ob an der Behauptung was dran ist. Viel­leicht ist man k, ohne es zu wissen. Möglicherweise ist gar der Verdacht naheliegend, daß gerade jene, die meinen, nicht k zu sein, gerade in besonderer Weise k sind.

Wenn ich mich, nach der ersten vehementen Zurück­weisung des Vorwurfs, selbstkritisch bedenke, könnte ich vielleicht ganz emotionslos konstatieren, daß be­sagter Vorwurf kein Vorwurf sei, sondern eine wie auch immer geartete Feststellung. Ich wehre mich also nicht mehr gegen einen Vorwurf, sondern setze mich mit einer Feststellung auseinander. In Ermangelung einer näheren Begründung dieser Feststellung, die als Basis für eine Auseinandersetzung dienen könnte, oder für ihren objektiven Nachvollzug, bleibt mir nichts an­deres übrig, als in offener Selbstkritik zu klären, ob ich k bin, und warum.

Als erstes Moment zur Beantwortung dieser Frage im positiven Sinne fällt mir ein, daß ich ganz offensicht­lich in Opposition stehe zu dieser unserer Zeit. Oppo­sition im Rahmen einer bügerlich-rechtsstaatlichen Ordnung ist ja zunächst einmal noch nichts Verwerf­liches. Opposition oder Widerstand bedeutet ja nichts anderes, als daß man andere Vorstellungen hegt, die den allgemein vorherrschenden zuwiderlaufen. Man könnte nun kühn behaupten (was noch zu begründen sein wird), daß Widerstand gegen die eigene Zeit von schlechter Zeitgenossenschaft zeugt, und insofern den Sachverhalt der k Einstellung bestätigt. Konservative sind solche, die an Idealen festhalten, die sich, gemes­sen an gegenwärtigen Verhältnissen, als anachroni­stisch, irrelevant, überholt erweisen. Insofern der Be­griff Zeit wertfrei gehandhabt werden soll, kann man damit nicht moralisierend umgehen. Der Konservative tut genau das. Indem er sich nach alten Zeiten zurück­sehnt oder andere als die gegenwärtige herbeiwünscht, stellt er sich gegen den Strom der Zeit, oder weicht ihm aus. Die Kritik an der Beschaffenheit der Zeit, die er im einzelnen vorbringt, belegt letztlich nichts ande­res als ein psychologisches Problem, das auf ihn selbst zurückfällt. Er kommt mit den Zeitläuften nicht zu­recht, fühlt sich überfordert, und macht dafür die Zeit, die allgemeine Situation, die Lage der Dinge verant­wortlich, anstatt seinen eigenen Stellenwert im Gesamtgefüge zu überprüfen. Um sich den Gegebenhei­ten nicht stellen zu müssen, weil er insgeheim weiß, daß er unterliegen werde, weicht er aus. Eher versteigt er sich zu der Behauptung, die Zeit selbst sei anachro­nistisch, als seinen eigenen Standpunkt als Stillstand zu erkennen. Indem er nicht von sich absehen kann, und alle Perspektiven und Horizonte von der Mitte seiner selbst ausgehen (und auf ihn zurückfallen), vermag er mangels Distanz nicht zu erkennen, daß er ein licht­loses Gebilde ohne Konturen ist, das, widerstrebend, vom Strom der Zeit mitgerissen wird, um an einer seichten Biegung als Ballast abgesetzt zu werden. Ge­fangen in machtlosem Widerstand und neurotischem Protest hat er versäumt, sich kundig zu machen, er hat sich selbst manövrierunfähig gemacht.

Das ist die Verfaßtheit des Konservativen, sowie die Konstitution des potentiellen Selbstmörders. Ich gebe zu, k zu sein.

Zu meiner Verteidigung kann ich nichts weiter vor­bringen als ein Beispiel, welches das im Raum stehen­de und von mir anerkannte Urteil bestätigt: Ich habe ein gestörtes Verhältnis zu modernen Maschinen. Während alle Welt mit der Zeit geht und mit dem Computer arbeitet, arbeite ich nach wie vor mit Blei­stift und Papier, und mit der Schreibmaschine. Ich habe auch ein Telephon, aber keinen

 

Anrufbeantworter. Ich bin auch außerstande, eine Nachricht auf das Gerät zu spre­chen, wenn ich die Person in ihrer akustischen Präsenz nicht erreichen kann. In Verkennung der Stellvertreter­funktion der Maschine, die so ein automatischer Anrufbeantworter darstellt, gehe ich davon aus, daß eine Person nicht da ist, wenn sie nicht da ist. Daß man auf die gespeicherte, ins Leere gesprochene Nachricht spä­ter zurückkommen kann, macht mir Unbehagen. Beim Transport des jetzt-Zeitpunkts auf später geht für mich etwas verloren, was ich im Bereich des Authentischen suche. Mit den Funktionen der Maschine (Simulation, Vervielfachung, Austauschbarkeit) ist für mich etwas in Frage gestellt, ja außer Kraft gesetzt, was man ein­mal das Gute, Wahre und Schöne nannte. Wenn diese Werte, an denen ich festhalte, keine Gültigkeit mehr haben, ist das nur ein weiterer Beweis für meine k Ein­stellung. Außerdem verabscheue ich den alles beherr­schenden Faktor Geschwindigkeit, die ungeheueren Umsetzungen von Material in andere Materialien, die gigantischen Zirkulationen von Daten aller Arten. Der unaufhaltsame Sog einer sich mehr und mehr selbst­tätig beschleunigenden Bewegung, die alles erfaßt und mit sich reißt, scheint sich auf jenen Zustand absoluter Geschwindigkeit zuzubewegen, die in ihrem Kulmina­tionspunkt ins Gegenteil umschlägt, vergleichbar dem Auge, dem Zentrum eines Wirbelsturms, in dem Ruhe herrscht. Wenn überall das gleiche Maß an Geschwin­digkeit erreicht ist, führt sie sich selbst ad absurdum. Es kommt zum stehenden Verkehr. Wenn alles überall gleichzeitig verfügbar geworden ist, kommt das einer Aufhebung von Raum und Zeit gleich. Nirgendwo gibt es dann einen zeitlichen, geographischen oder infor­matorischen Vorsprung, aus dem ein Nutzen gezogen werden könnte. Mit der Aufhebung der Differenz, des Differenzgefälles werden gleichzeitig Mehrwert, Zu­wachsraten, jede Art von Nutzen zunichte. Vielleicht ist es Sinn und Ziel von Geschwindigkeit, in Ruhe um­zuschlagen. Deshalb brauche ich kein Faxgerät. Wenn die Nachricht richtig ist, spielt es keine Rolle, ob sie früher oder später ankommt. Wenn ich dennoch mit Maschinen wie der Schreibmaschine oder dem Tele­phon umgehe, beweist das nur meine Inkonsequenz. Der K steht auf halbem Wege zwischen Zukunft und Vergangenheit. Würde ich, da mir der Weg in die Zukunft verbaut ist, den Verfall des Authentischen wenigstens in die Vergangenheit konsequent zurück­verfolgen, so müßte ich nachträglich die Erfindung der griechischen Tragödie, beispielsweise, verwerfen.

Denn wahrscheinlich wäre ich als K gegen das Theater gewesen, weil es einen Schritt weg vom authentischen Leben hin zur Simulation auf der Bühne darstellt. Schließlich ist überhaupt alle Kunst Simulation, im Sinne der Dokumentation und Nachbildung mensch­licher Erfahrung, die sich primär aus der Natur und dem Verhältnis zu ihr schöpft. Kunst, und zumal das Theater, ist aber auch ein (selbstgemachter) Spiegel, in dem der Mensch sich wiederzuerkennen, vielleicht überhaupt zu finden hofft. So ist auch die zeitgenös­sische Simulation ein Spiegel. Im Spiegel dieser Zeit, in der ich lebe, kann ich mich nicht wiedererkennen, -weil ich k geworden bin.

Kurt Benning, Dezember 1990